Der Tourismus der Motor für Thailands Wirtschaft in der Krise
Die Altstadt von Phuket mit ihren Nudelläden im Freien und bunt bemalten Schaufenstern ist eine beliebte Kulisse für Touristen aus China, die ihre Selfies in die Social Media einstellen. Die Insel, auf der rund 500.000 Einheimische leben, zieht in der Regel etwa 7 Millionen ausländische Besucher pro Jahr an, davon sind etwa 2 Millionen Touristen aus China – Thailands größtes Touristenreservoir.
Sogar in der Regenzeit von Mai bis Oktober kommen chinesische Touristen in großer Zahl nach Phuket, dann, wenn die Europäer meist fern bleiben. Aber in den letzten Monaten sah das alles etwas anders aus, auf der Thailand Road im Herzen der Altstadt von Phuket Town sah man kaum Touristen. Die normalerweise belebte Strasse machte weitgehend einen verlassenen Eindruck.
Bereits im vergangenen Jahr fingen chinesische Reisegruppen an, massenhaft ihre Phuket-Buchungen zu stornieren, nachdem im Juli des letzten Jahres ein Boot mit Touristen gekentert war und dabei 47 Menschen umkamen. In diesem Jahr, so sagen es die Geschäftsleute, sieht es noch weitaus schlimmer aus. Nach Angaben des örtlichen Hotelverbandes liegt die Belegungsquote auf der Insel bei nur 40% bis 50%. Betroffene aus der Tourismusbranche sagen, dass dies die schlimmste Saison sei, die sie jemals erlebt haben.
Von der Altstadt in Phuket über die Tempel in Chiang Mai bis hin zu den Backpacker-Herbergen in Bangkok rund um die Khao-San Road, überall sinken die Besucherzahlen, und die Tourismusbranche, Thailands wichtigster Wirtschaftsfaktor, gerät ins Schlingern.
Seit Jahrzehnten ist Thailand ein Musterbeispiel dafür, wie man den Tourismus zu einer nationalen „Marke“ und einem starken Faktor, zum Motor des Wirtschaftswachstums macht. Mit einem Produkt, das Strände, hedonistisches Nachtleben, exotisches Essen, Discount-Shopping und einen Hauch von Spiritualität vereint, ist es gelungen, sowohl Backpacker als auch Luxustouristen aus westlichen Ländern auf der Suche nach der Wintersonne anzuziehen. In den letzten Jahren ist auch eine Rekordzahl von chinesischen Touristen, die man bis vor kurzem noch als Quelle für grenzenloses Wachstum angesehen hat, nach Thailand gekommen.
Allerdings hat der thailändische Tourismus jetzt erhebliche Schwierigkeiten und steht vor drei großen Herausforderungen. Erstens hat die sich verlangsamende Wirtschaft in China zu weniger Besuchern geführt, was den Rückgang der Ankünfte nach dem Phuket-Bootunglück noch verstärkt hat. Zweitens wurden thailändische Hoteliers und Reiseveranstalter von der Entwicklung hin zu mehr Individualismus überrascht, die durch das Aufkommen der Online-Reisebüros und Unternehmen wie Airbnb unterstützt wird. Und drittens ist der thailändische Baht in diesem Jahr gegenüber dem Dollar stark gestiegen, was sich kontraproduktiv auswirkte auf das legendäre Verkaufsargument, Thailand als preiswertes Reiseziel anzupreisen.
Das hat dazu geführt, dass viele Touristen inzwischen nicht mehr auf nach Thailand kommen, weil sie das Gefühl haben, dass die Kosten im Vergleich zu Reisezielen in Vietnam oder Kambodscha einfach zu hoch sind.
Kritiker sagen, dass thailändische Politiker und Geschäftsleute, die geschickt auf die Veränderungen durch das digitale Zeitalter im Einzelhandel und in der verarbeitenden Industrie reagiert haben, beim Tourismus in einem Nummernspiel gefangen sind, bei dem um jeden Preis Besucherrekorde erzielt werden sollen, ohne der Infrastruktur, den Kompetenzen oder den Dienstleistungen, die zur Unterstützung des Tourismus benötigt werden, genügend Aufmerksamkeit zu schenken.
Der Tourismus ist sowohl Thailands größter Devisenbringer als auch sein bekanntestes Produkt: Einfach die Visitenkarte des Königreichs und eine wichtige Grundlage des Wohlstandes für dieses Land mit seinen 69 Millionen Einwohnern. Laut dem World Travel and Tourism Council erwirtschaftet der Tourismussektor rund 10% des Bruttoinlandsprodukts der zweitgrößten Volkswirtschaft Südostasiens.
Das Land hat in den letzten Jahren immer neue Besucherrekorde mit ausländischen Touristen aufgestellt. Man hat den Tourismus einfach als eine goldene Gans angesehen, die ewig ihre Eier legt. Die Wirtschaftsplaner haben sich auf ihren Lorbeeren ausgeruht und sich darauf verlassen, dass diese Entwicklung immer so weitergehen wird und dabei völlig vernachlässigt, die Tourismusindustrie weiter zu entwickeln und den Touristen immer wieder neue Anreize zu bieten, das Land zu besuchen.
Die mehr als 100 Milliarden Dollar pro Jahr, die der Tourismus direkt und indirekt generiert, sind der größte Einzelposten für den zuverlässig gesunden Leistungsbilanzüberschuss des Königreichs – der Hauptindikator, der ausländische Investoren veranlasst, Wertpapiere in thailändischen Baht als sicheren Hafen für ihre Anlage anzusehen und ihr Geld dort zu parken, aber damit gleichzeitig beginnen, die Währung nach oben zu treiben. Analysten beginnen bereits, ihre Prognosen für die Branche zumindest kurz- bis mittelfristig zu korrigieren.
Die neue Regierung hat letzte Woche den Tourismus in den Mittelpunkt eines 10 Milliarden Dollar Konjunkturprogramms gestellt und zudem beschlossen, für mehrere Länder kostenlose Visa bei der Ankunft für weitere sechs Monate zu verlängern und inländischen Touristen Bargeldboni und Rabatte anzubieten. Jedoch sträubte sich das Kabinett einem Vorschlag zuzustimmen, der es chinesischen und indischen Touristen erlauben sollte, visafrei einzureisen. Als Begründung für die Ablehnung wurden Sicherheitsbedenken angeführt.
Die Verlangsamung des Tourismus erfolgt inmitten eines weitreichenderen Prozesses. Das thailändische BIP-Wachstum von nur 2,3% im zweiten Quartal blieb hinter den meisten seiner Nachbarn zurück. Die Industrien, auf denen Thailand in den 1980er und 1990er Jahren seinen Wohlstand aufgebaut hat, einschließlich der kostengünstigen Fertigung und des Automobilbaus, verändern sich, und das Königreich hat noch viel zu tun, um hier wieder aufzuholen.
Manche Ökonomen sagen, dass Thailand auch Gefahr läuft, in eine Falle zu geraten, die insbesondere Menschen mit mittlerem Einkommen betrifft. Diese Menschen sind zwar nicht mehr arm, aber ohne die notwendigen Mittel und die Dynamik, um im digitalen Bereich zu Wohlstand zu gelangen bzw. zu erhalten. IT-Wissen und andere Fähigkeiten werden künftig immer wichtiger. Das nahe Vietnam ist der aufstrebende Wirtschaftsstar der Region. Die Zahl der Touristen wächst dort zweistellig und zieht vor allem die jüngeren Besucher an, die vor zwei oder drei Jahrzehnten erstmals nach Thailand kamen.
Thailand läuft Gefahr, Anteile im Low-Budget-Ferienmarkt zu verlieren, da sich die Tourismusmärkte im benachbarten Vietnam und Kambodscha weitaus besser entwickeln.
Bis vor kurzem beklagten sich die Thais nicht über zu wenige chinesische Touristen, sondern über zu viele – vor allem über Gruppenreisende, deren Gewinne hauptsächlich an Betreiber aus China gingen, eine Praxis, die als „Null-Dollar“-Tourismus bekannt ist.
Europäische Individualtouristen waren in den letzten Jahrzehnten lange die treibende Kraft hinter dem Wachstum des thailändischen Tourismus. Mit der Veröffentlichung eines chinesischen Erfolgskomödiefilms „Lost in Thailand“ im Jahre 2012 entdeckten chinesische Touristen Thailand. Aus mehr als einem Dutzend Städten flogen Billigfluggesellschaften die Touristen nach Thailand. Chinesische Besucher, darunter viele, die zum ersten Mal ins Ausland reisten, wurden zur größten Besucher- und Einkommensressource des thailändischen Tourismus.
Das änderte sich schlagartig im Juli 2018, als die „Phoenix“, ein Boot mit 101 Personen, bei der Rückkehr von Koh Racha, einer Schnorchelinsel, in einen plötzlich aufkommenden Sturm vor Phuket geriet und kenterte. Nur etwas mehr als die Hälfte der Passagiere schaffte es in die Rettungsboote, die restlichen Passagiere kamen ums Leben.
Der Vorfall verbreitete sich schnell in den chinesischen Social Media und schreckte viele potenzielle Besucher ab. Einige chinesische Reiseveranstalter, die sich in Phuket niedergelassen hatten, verlagerten ihre Geschäfte nach der Schiffskatastrophe nach Vietnam, während Charterunternehmen begannen, Flüge umzuleiten.
Hinzu kam, dass sich im September des letzten Jahres blitzartig ein Videoclip im Internet verbreitete, der einen thailändischer Wachmann am Flughafen Don Mueang in Bangkok zeigte, wie er einen chinesischen Besucher mit einem Schlag traf. Am Don Mueang Airport kommen die meisten Billigflüge aus China an. Auch das trug dazu bei, dass viele chinesische Touristen Thailand fortan mieden.
Laut Statistiken der thailändischen Regierung sind die Touristenankünfte von Januar bis Juni 2019 um weniger als 2% gestiegen, während die Ankünfte aus China um fast 5% gesunken sind. Die Tourism Authority of Thailand (TAT) besteht darauf, dass die Branche auf dem besten Weg ist, in diesem Jahr mit mehr als 41 Millionen Besuchern einen weiteren Rekord aufzustellen. Es gebe natürlich immer Raum für Verbesserungen, aber er glaube, dass Thailand insgesamt gut aufgestellt sei, um über viele Jahre weiter Besucher anzuziehen, war vom Gouverneur der TAT zu hören.
Ausländische Branchenanalysten und auch einige thailändische Dienstleister sind sich jedoch einig, dass der Tourismus in Thailand seinen Zenit bereits überschritten hat und sich derzeit schon im Abschwung befindet. Ein unabhängiger Dienstleister, der Hotelbuchungen auswertet, kam zu dem Ergebnis, dass die Hotelbelegung in Thailand in der ersten Jahreshälfte um 3,5% und in Phuket sogar um 7,6% gesunken ist.
Auch ein Beratungsunternehmen, das die globalen Flugbuchungen auswertet, schätzt, dass diese in diesem Jahr bis Juli für Thailand um 2,3% gesunken sind, verglichen mit einem Anstieg von 6,9% für Vietnam. Zurückzuführen sei der Rückgang auf verschiedene Faktoren wie auf den starken Baht, die Phuket-Boot-Katastrophe und auch auf die vorübergehende Schließung von Maya Beach, dem idyllischen Schauplatz des 2000er Films „The Beach“, der von Touristen regelrecht überrannt worden war. Zudem habe es die Wahrnehmung gegeben, dass sich die thailändischen Behörden nicht ausreichend um Sicherheitsbelange gekümmert hätten und das sei vor allem in China nicht gut angekommen.
Die Abschwächung des Tourismus hat auch deutlich aufgezeigt, dass es bei der Weiterentwicklung der Infrastruktur erhebliche Defizite gibt. So sind die fünf wichtigsten Flughäfen in Thailand so konzipiert, dass sie theoretisch zig Millionen von Passagieren abfertigen können, für die sie aber in bestimmten Bereichen nicht genügend Kapazität haben, was insbesondere bei der Ankunft zu langen Warteschlangen führt. Wartezeiten von einer Stunde bis anderthalb Stunden, nur um die Immigration zu passieren, waren keine Seltenheit.
In Phuket, so sagen es zumindest Kenner der Tourismusbranche, ist der Abschwung auf Faktoren zurückzuführen, die von größerer Bedeutung sind als die Bootskatastrophe oder die chinesische Wirtschaftsflaute. Sie weisen auf allgemeine Trends hin, die auch durch geschicktes Marketing nicht so leicht zu bewältigen sind. Es ist vor allem der unaufhaltsame Vormarsch von Online-Reisebüros und von disruptiven Apps wie Airbnb, der die weniger flexiblen Hoteliers und Reiseveranstalter in Thailand zurückzulassen droht.
Die thailändischen Behörden sind in den letzten vier Jahren erfolgreich gegen sogenannte „Null-Dollar“-Gruppen vorgegangen, um mehr chinesisches Geld in Thailand zu belassen. In der Folge davon kommen jetzt mehr chinesische Individualreisende nach Phuket – prinzipiell erst einmal eine gute Nachrichten für die lokale Wirtschaft, aber zugleich eine Herausforderung für eine Branche, die sich in eingefahrenen Bahnen bewegt.
Das Mehr an chinesischen Einzeltouristen führte aber auch dazu, dass diese ein anderes Verbraucherverhalten an den Tag legten, das thailändischen Investoren bisher fremd war. Die Individualtouristen begannen, in privaten Unterkünften oder nicht registrierten Hotels zu übernachten. Thailändischen Hotels und anderen Dienstleistern der Touristikbranche fehlen meist die chinesischen Sprachkenntnisse und auch das Know-how, um über Weibo und andere chinesische Social Media Plattformen Einzelreisende direkt anzusprechen.
Während die Hotelbetreiber in Phuket über leerstehende Zimmer klagen, buchen immer mehr chinesische Touristen private Unterkünfte oder Zimmer in nicht registrierten Hotels über chinesische Websites oder ausländische Plattformen wie Airbnb.
Für Investoren ist es ein langwieriger Prozess, diesen Wandel zu verstehen. Zu sehr hatten sie sich daran gewöhnt, dass Agenten ihre Häuser mit Reisegruppen füllten, um auf diese Weise kontinuierliche Einnahmen zu generieren, ohne sich dabei groß anstrengen zu müssen. Das machte sie im Laufe der Zeit träge, was ihre Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt hat.
Die thailändischen Regierungsstellen wollen dem Ganzen jedoch nicht untätig zusehen. Die beiden wichtigsten Flughäfen von Bangkok werden derzeit stark erweitert, so dass Millionen weiterer Passagiere abgefertigt werden können. Auch plant die Flughafenbetreibergesellschaft, die Airports of Thailand (AOT), einen neuen internationalen Flughafen in Phang Nga, nahe Phuket zu errichten.
Die thailändische Tourismusbehörde (TAT) betreibt in China fünf Büros, die derzeit versuchen, mit verschiedenen Marketingmaßnahmen chinesische Besucher zurückzugewinnen.
Einige Analysten sind jedoch der Meinung, dass die für den thailändischen Tourismus Verantwortlichen immer noch zu sehr nach schnellen Lösungen suchen und dabei in erster Linie auf Quantität setzen und dabei die Qualität der in Frage kommenden Besucher vernachlässigen.
Sie sind auch der Ansicht, dass die Branche mit der Zeit gehen muss, wenn es darum geht, große Datenmengen zur Analyse der Bedürfnisse von Touristen auszuwerten oder die Zeit in der weniger Besucher kommen zu nutzen, um die Infrastruktur in den touristischen Standorten zu verbessern oder die Mitarbeiter besser zu schulen und auszubilden.
Fakt ist, dass die Branche nicht mehr so weiter wachsen wird wie bisher. Daher sollte der Tourismus in Thailand die Krise als eine Chance nutzen, Dinge anzufassen, die lange Zeit vernachlässigt wurden.
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