Vor dem Ausbruch von COVID-19 war Bangkok die meistbesuchte Stadt der Welt. Jetzt sind die einst geschäftigen Straßen Bangkoks fast menschenleer. Mit seiner ohnehin schon krisengeschüttelten Wirtschaft hätte der Zeitpunkt der Krise für Thailand nicht ungelegener kommen können. Die Exporte sind bereits seit 2019 rückläufig und die BIP-Wachstumsrate ist schon seit 2014 eine der niedrigsten in Südostasien.
Diese Trends werden sich in den kommenden Monaten noch verstärken. Die Regierung geht davon aus, dass die Wirtschaft um 5,3 Prozent schrumpfen wird. Die Schätzung des Internationalen Währungsfonds fällt mit einem Rückgang des BIP von 6,7 Prozent noch schlechter aus. Beide Szenarien würden innerhalb der ASEAN-Region die thailändische Wirtschaft am schwersten treffen.
Sicher ist, dass jeder in Thailand von der wie aus dem Nichts gekommenen Wirtschaftskrise betroffen ist – angefangen von den Betreibern der großen Shopping Malls wie der Central-Gruppe bis hin zu Kleinhändlern und Tagelöhnern. Mit am härtesten betroffen sind Tausende von Tuk-Tuk- und Taxifahrer sowie Straßenhändler in Bangkok, Chiang Mai, Pattaya und anderen Touristen-Hotspots, die nach der Schließung des 60 Milliarden Dollar schweren Tourismussektors des Landes arbeitslos geworden sind. Der Ausbruch von COVID-19 wird die Ungleichheit in der thailändischen Gesellschaft noch weiter vertiefen.
Schon vor dem Ausbruch des Coronavirus war Thailand eine der ungleichsten Gesellschaften in Südostasien. Schätzungen des Nationalen Rats für wirtschaftliche und soziale Entwicklung zufolge lag der Gini-Index in Thailand 2017 bei 0,45. Der Gini-Koeffizient gilt als Maßstab für die Einkommens- und Vermögensverteilung. Je näher der Index bei 1 liegt, desto größer ist die Schere zwischen Arm und Reich.
Noch beunruhigender ist, dass Thailand im folgenden Jahr die Weltrangliste in Bezug auf sein Wohlstandsgefälle anführte. Gemäss dem „Global Wealth Report 2018“ der Credit Suisse kontrollierten die reichsten 1 Prozent in Thailand fast 67 Prozent des Vermögens im Land. Bei einer hohen Schuldenlast der Haushalte und/oder einem fehlenden regelmässigen Einkommen betrug der Anteil der unteren 10 Prozent am Vermögen des Landes null Prozent. Selbst die unteren 50 Prozent der Thailänder hatten einen mageren Anteil von 1,7 Prozent am Vermögen des Landes. Im Gegensatz dazu besaßen die reichsten 10 Prozent des Landes einen Anteil von 85,7 Prozent am Gesamtvermögen.
Mit dem COVID-19-Ausbruch werden diese bestehenden Unterschiede in der Einkommens- und Vermögensverteilung noch weiter verschärft. In der Wirtschaftsgeschichte des Landes gibt es Parallelen, die darauf hindeuten, dass sich die Einkommensverteilung in den kommenden Monaten verschlechtern wird. Aus der sogenannten Asienkrise von 1997 können wichtige Lehren gezogen werden. Damals stieg die Arbeitslosigkeit zwischen 1997 und 1998 stark an, von 0,9 auf 3,4 Prozent, während der Gini-Index bis zum Jahr 2000 auf 0,52 stieg.
Ähnliche Muster waren auch als Folge der Finanzkrise von 2007 zu beobachten. Die Finanzkrise führte zu einem starken Rückgang des internationalen Handels, was wiederum zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führte. Geht man von diesen Trends der Vergangenheit aus, so wird die Arbeitslosigkeit wahrscheinlich erneut sprunghaft ansteigen. Das Arbeitsministerium bestätigt bereits einen erheblichen Wegfall von Arbeitsplätzen seit dem Ausbruch des Coronavirus.
Angesichts des hohen Anteils der Schattenwirtschaft und der großen Zahl kleinerer Unternehmen und Familienbetriebe wird sich die COVID-19-Krise in unverhältnismäßig hohem Maße negativ auf die unteren 50 Prozent der thailändischen Erwerbsbevölkerung auswirken, die aufgrund ihres Mangels an regelmäßigem Einkommen und Produktionsvermögen bereits jetzt ins Hintertreffen geraten sind.
Die Regierung hat eine landesweite Kontrolle der Bewegungsfreiheit durchgesetzt, wodurch Millionen von Thailändern in die unfreiwillige Arbeitslosigkeit gezwungen werden. Die Mehrheit von ihnen ist in der Schattenwirtschaft tätig, ohne einen formellen Vertrag oder feste Arbeitsverhältnisse. Nahezu 50 Prozent der thailändischen Erwerbsbevölkerung besteht aus Selbständigen und mitarbeitenden Familienangehörigen, was die Internationale Arbeitsorganisation als gefährdete Beschäftigung bezeichnet.
Einige Arbeitgeber haben ihre Unternehmen umstrukturiert und den Arbeitnehmern die Möglichkeit gegeben, von zu Hause aus zu arbeiten. Aber die digitale Kluft im Land ist groß und spiegelt meist die bestehenden wirtschaftlichen Unterschiede wider. Im Jahr 2017 besaßen nur 3 Prozent der armen Haushalte mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen von weniger als 16.667 Baht (465 Euro) einen Computer mit Internetanschluss. Dies schränkt die Möglichkeiten ein, moderne Technologie zu nutzen, um von zu Hause aus zu arbeiten und das Einkommen durch Tätigkeiten im Online-Bereich zu erzielen oder aufzubessern.
Im Vergleich zu den ASEAN-Nachbarländern ist die Zahl der infizierten Personen in Thailand relativ gering. Die Zahl der COVID-19-Fälle in Thailand beträgt weniger als die Hälfte der Zahlen von Singapur, den Philippinen oder Indonesien. Angesichts des bedrohlichen Charakters des Ausbruchs gibt es jedoch keinen Anlass zur Selbstgefälligkeit.
Es war daher richtig, dass die Regierung frühzeitig mit der Einführung eines Konjunkturpakets reagiert hat. Dieses umfasst eine Reihe von Maßnahmen zum Schutz der Arbeitseinkommen und zur Sicherung von Arbeitsplätzen. Die 11,7 Millionen Angestellten des Landes werden über den Sozialversicherungsfond abgesichert. Es gibt auch Maßnahmen zur Einkommensunterstützung für diejenigen, die einer informellen Beschäftigung nachgehen, in Höhe von 5.000 Baht pro Monat (140 USD) für drei Monate.
Es ist jedoch eine große Herausforderung, die schwächsten Gruppen zu erreichen. Die Regierung berichtete, dass in den vergangenen zwei Wochen 27 Millionen Menschen online einen Antrag auf die Bargeldhilfe gestellt haben. Bis zum 14. April waren jedoch nur 1,68 Millionen davon bewilligt worden. Um die Unterstützung zu beantragen, müssen die betreffenden Personen Zugang zum Internet haben und ein Sparkonto besitzen. Diese Anforderung hat einige Gruppen aus den ärmsten Bevölkerungsschichten ausgeschlossen, so zum Beispiel viele Tagelöhner, Straßenverkäufer und Taxifahrer.
Es gibt auch ähnliche Berichte über den Ausschluss von „No One Left Behind“, einem anderen Programm, das drei Monate lang jeden Monat finanzielle Unterstützung in bar vorsieht. Tausende Thais wurden fälschlicherweise von diesem Vorzeigeprogramm der Regierung ausgeschlossen, nachdem durch ein Fehler der Verwaltung die anspruchsberechtigte Bevölkerung falsch klassifiziert worden war.
Der Rückgang des Arbeitseinkommens und der Mangel an Transferzahlungen ist nicht die einzige Schwachstelle. Im Jahr 2019 betrug das Verhältnis der Schulden der Haushalte zum Einkommen 148,8 Prozent. Die Verschuldung der Haushalte wird in den kommenden Monaten bei einkommensschwachen Haushalten, bäuerlichen Familien und älteren Personen sicherlich noch zunehmen. In einer lang anhaltenden Krise werden diese Bevölkerungsgruppen wahrscheinlich alle wertvollen Vermögenswerte, über die sie verfügen, aufbrauchen. Die negativen Auswirkungen auf die Ungleichheit werden sich damit weiter verstärken. Wenn nicht entschiedenere und gezieltere Maßnahmen für die Armen und diese gefährdeten Gruppen ergriffen werden, werden diese noch tiefer in die Armut abrutschen.
Millionen von Thailändern sahen sich schon vor dem Ausbruch von COVID-19 an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Mit der ohnehin schon sehr ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung kann sich das Land eine weitere Öffnung der Schere zwischen Arm und Reich nicht leisten. Daher sollte ein umfassenderer und universellerer Schutz der Menschen in gefährdeten Beschäftigungsbereichen politische Priorität haben, da sich die wirtschaftliche Krise auch dem Abklingen des Coronavirus-Ausbruchs in den kommenden Monaten weiter verschärfen wird.
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