Warum ist Thailand, dessen Einwohnerzahl knapp 20% unter der von Deutschland liegt, die Zahl der Infizierten und der durch Covid-19 verursachten Todesfälle in Thailand aber nur ein Bruchteil ausmachen, weitgehend vom Coronavirus-Ausbruch verschont geblieben?
So gab es in Deutschland Stand heute 201.868 auf Covid-19 positiv getestete Personen, von denen 9.157 verstorben sind, in Thailand aber insgesamt nur 3.239 infizierte Personen, davon 58 Todesfälle. Noch weitaus positiver fällt der Vergleich mit Ländern wie Italien oder Großbritannien aus, deren Einwohnerzahl geringer ist. Dort führte die Covid-19-Pandemie zu katastrophalen Auswirkungen, auch die meisten anderen Länder der Welt wurden weitaus schwerer heimgesucht als Thailand.
Das sind die Fakten: Doch niemand weiß eigentlich genau, warum in Thailand die Zahl der Infektionen so gering geblieben ist.
Liegt die Ursache in der thailändischen Kultur begründet, in der soziale Distanzierung tief verwurzelt ist? Thais berühren sich bei der Begrüßung nur selten und ziehen die gebetsähnliche „Wai“-Geste einem Händedruck oder einer Umarmung vor. Könnte es sein, dass dieser Brauch zumindest teilweise für die geringe Zahl von Infektionen im Land verantwortlich ist und den sonst fast überall auf der Welt aus dem Ruder gelaufenen Ausbruch des Coronavirus verhindert hat?
Hat die frühe Einführung von Gesichtsmasken und Hygienemaßnahmen in Thailand in Verbindung mit einem stabilen Gesundheitssystem die Auswirkungen des Virus abgemildert? Lag es am Lebensstil vieler Thailänder oder deren relativ niedriger Rate an Vorerkrankungen?
In den öffentlichen Krankenhäusern von Thailand gab es keine überfüllten Stationen. Es gab auch keine Bilder von Leichen auf den Straßen oder Social Media-Beiträge von verzweifelten Ärzten und Krankenschwestern. Das Land hat einfach nur rasch und mit Entschlossenheit gehandelt.
Thailand war schnell dabei, die Verwendung von Gesichtsmasken einzuführen, Schulen und Bildungseinrichtungen zu schließen und die Wahrung von Abständen in öffentlichen Verkehrsmitteln durchzusetzen, noch bevor die Regierung den nationalen Notstand und eine Ausgangssperre verhängte, seine Grenzen abriegelte und Reisen zwischen den Provinzen verbot. Noch immer spricht sich eine Mehrheit der Thais gegen die Öffnung des Landes für Ausländer aus. Sind das die Ursachen, die eine unkontrollierte Übertragung des Virus verhindert haben?
Gibt es vielleicht eine genetische Komponente, bei der das Immunsystem von Thailändern und anderen Asiaten in der Mekong-Region resistenter gegen das Coronavirus ist? Oder ist es eine Kombination von all diesen Faktoren, die das Land mit fast 70 Millionen Einwohnern verschont hat?
Eines scheint sicher: Trotz des Zustroms ausländischer Besucher in den ersten Monaten des Jahres aus Ländern, die vom Coronavirus schwer getroffen wurden, hat Thailand bis heute weniger als 3.240 Fälle zu verzeichnen, wovon lediglich 58 Menschen verstorben sind. Thailand findet sich mit diesen Zahlen auf Platz 101 der Rangliste der Länder mit den meisten Covid-19 Fällen wieder. Seit etwa sieben Wochen gab es in dem Land keinen Fall mehr von einer lokalen Übertragung.
Ale bestätigten Infektionen wurden seitdem bei Thais nachgewiesen, die aus dem Ausland zurückkehrten und sich in staatlich verordneter Quarantäne befanden. Auch die beiden kürzlich in die Schlagzeilen geratenen Fälle von einem Crewmitglied einer ägyptischen Militärmaschine in Rayong sowie der 9-jährigen sudanesischen Diplomatentochter in Bangkok, hat Ausländer betroffen, die das Virus aus dem Ausland eingeschleppt haben.
Die niedrige Infektionsrate scheint symptomatisch für die Anrainerstaaten des Mekongs zu sein. Vietnam hat keinen einzigen Todesfall zu verzeichnen und ist seit etwa drei Monaten ohne einen einzigen Fall einer lokalen Ansteckung. Myanmar hat bisher 339 Covid-19 Infektionen und 6 Todesfälle bestätigt, Kambodscha 171 und Laos nur 19 Infektionen, jedoch bisher keine Todesfälle. Die Behörden gehen aber davon aus, dass es aufgrund der niedrigen Testraten in Myanmar, Kambodscha und Laos vermutlich eine hohe Dunkelziffer gibt.
Aber auch in der südwestchinesische Provinz Yunnan, durch die der Mekong fliesst, bevor er sich weiter durch die Länder in Südostasien schlängelt, gab es weniger als 190 Fälle. Keiner davon ist noch aktiv.
Laut dem Sprecher des Covid-19 Lagezentrums der thailändischen Regierung hat die relativ niedrige Anzahl der Fälle kaum etwas mit Immunität oder Genetik zu tun. Seine Meinung bestätigt die Annahme, nach der es eher etwas mit der Kultur zu tun hat. Thailänder haben keinen Körperkontakt, wenn sie sich grüßen. Auch die Menschen in den anderen Ländern in der Mekong-Region begrüssen sich so.
Thailand scheint das Virus gut unter Kontrolle gebracht zu haben, aber die Aussichten haben nicht immer so positiv ausgesehen. Im Januar bestätigte Thailand den weltweit ersten Fall einer Virusinfektion außerhalb Chinas, die bei einem Touristen aus Wuhan festgestellt wurde, der zentralchinesischen Stadt, in der der Ausbruch vermutlich begonnen hat. Eine Welle von Infektionen wurde durch die Ankunft von Menschen aus Japan, Europa und den USA ausgelöst. Hinzu kam, dass sich ein Boxkampf in Bangkok als eine Veranstaltung herausstellte, bei der das Virus massenhaft verbreitet wurde.
Doch nachdem im März der Lockdown durchgesetzt wurde und Unternehmen, Einrichtungen, Geschäfte und Schulen geschlossen wurden, gingen die Infektionen im Inland rasch zurück. Auf der Insel Phuket wurden die meisten der 17 „Tambons“ (Bezirke) der Insel mit Kontrollpunkten abgeriegelt, um die Menschen daran zu hindern, außer in Notfällen ihr Wohngebiet zu verlassen. Es gab weder Proteste noch Diskussionen. Allen Bewohnern war klar, was getan werden musste, obwohl die wirtschaftlichen Auswirkungen gravierend waren.
Ein Experte für öffentliche Gesundheit an der Chulalongkorn-Universität in Bangkok, der einen Ausbruch des Virus in der südlichen Grenzprovinz Pattani untersuchte, stellte fest, dass mehr als 90% der Personen, die dort positiv getestet wurden, keine Symptome einer Infektion aufwiesen, ein viel höherer Anteil als normalerweise üblich. Er stellte die These auf, dass es daran liegen könnte, dass Thais und andere Menschen aus diesem Teil Südostasiens empfindlicher auf schwere Fälle von Dengue-Fieber reagieren würden, einer durch Mücken übertragenen Viruskrankheit, als diejenigen aus anderen Regionen der Welt. Daher wollen die Forscher jetzt das Immunsystem genauer untersuchen.
Obwohl die Intensivstationen in Thailands Krankenhäuser keineswegs mit Covid-19-Patienten überlastet waren, wurde die stark vom Tourismus abhängige Wirtschaft des Landes in vielen Bereichen heruntergefahren, wenn nicht sogar fast vollständig stillgelegt.
Im April verbot Thailand praktisch alle ankommenden Flüge, was zur Folge hatte, dass keine Urlauber mehr nach Bangkok kamen. In den letzten Jahren noch galt Bangkok als die meistbesuchte Stadt der Welt. Das thailändische Ministerium für Tourismus und Sport schätzt, dass bis Ende dieses Jahres 60% der Gastgewerbebetriebe die Krise nicht überstehen werden.
Auch der Internationale Währungsfonds geht davon aus, dass die thailändische Wirtschaft im Jahr 2020 um mindestens 6,5% schrumpfen wird, andere Schätzungen gehen sogar von einem noch höheren Rückgang aus. Die Weltbank prognostiziert, dass in diesem Jahr mehr als 8 Millionen Thailänder aufgrund des Virus ihren Arbeitsplatz oder ihr Einkommen verlieren könnten.
Thailändische Haushalte gehörten schon vor der Krise zu den mit am höchsten verschuldeten in Asien. Immer mehr Menschen, die in ihrer Not verzweifelten, mussten sich in den letzten Monaten in buddhistischen Tempeln, öffentlichen Ausgabestellen und anderen Wohltätigkeitsorganisationen für die Verteilung von Reis und Lebensmitteln anstellen.
Der Selbstmordversuch einer Frau, die vor einem Regierungsgebäude Rattengift verschluckte, nachdem die versprochene Auszahlung von Hilfsgeldern der Regierung an der überbordenden Bürokratie scheiterte, geriet in die Schlagzeilen der Medien. Die Frau überlebte, aber die Selbstmordrate ist in Thailand in letzter Zeit immens angestiegen.
Hilfsorganisation, die während der Pandemie gegründet wurden, werden regelrecht von bedürftigen einheimischen Bittstellern überrollt, die nur noch wenige Baht in der Tasche haben, und weder ein noch aus wissen, wie sie das tägliche Leben meistern sollen.
Seit kurzem ist wieder etwas Normalität in Thailand eingekehrt. Die Schulen haben wieder geöffnet, die Kinder tragen Gesichtsmasken und lernen an abgeschirmten Tischen. Massagesalons, Restaurants, Pubs, Bars und Nachtlokale durften unter strengen Auflagen wieder öffnen. Anfang Juli nutzten viele Thais das erste lange Feiertagswochenende seit Monaten für einen Kurzurlaub am Meer. Die thailändischen Neujahrsfeierlichkeiten, die im April abgesagt wurden, sollen Ende dieses Monats nachgeholt werden.
Quelle: The Thaiger
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