Eine nie dagewesene Welle von Protesten überzieht Thailand in den letzten Monaten mit immer lauter werdenden Forderungen nach demokratischen Reformen. Vor allem wird der Rücktritt der derzeitigen Regierung, einschließlich des Premierministers, und Neuwahlen, eine Änderung der Verfassung sowie eine Reform der Monarchie gefordert. Was steckt dahinter?
Was spielt sich derzeit in Thailand ab?
In den letzten Monaten ist eine immer größer werdende Protestwelle über Thailand hinweggefegt, angeführt von Schülern und Studenten, die umfangreiche demokratische Reformen fordern. Einige der Anführer der Proteste haben auch ein seit langem bestehendes Tabu gebrochen und Gefängnisstrafen riskiert. Sie forderten, die Macht und den Reichtum der Monarchie des Landes einzudämmen. Nach dem noch immer geltenden „Lèse Majesté“-Gesetz ist es strafbar, den thailändischen Monarchen oder die Königsfamilie zu beleidigen oder zu verleumden.
Warum sind die Proteste gerade jetzt ausgebrochen?
Viele junge Thailänder sagen, dass sie genug haben von einem Establishment, das ihre demokratischen Rechte und den Fortschritt des Landes untergraben hat.
Die Demonstrationen begannen Anfang des Jahres auf Universitätsgeländen als Reaktion auf einen Gerichtsbeschluss zur Auflösung der populären Oppositionspartei „Future Forward“. Die Partei hatte bei der Wahl im vergangenen Jahr vor allem viele Stimmen von jungen Menschen erhalten. Die Abstimmung sollte Thailand nach dem Militärputsch im Jahr 2014 zur Demokratie zurückführen. Stattdessen wurde das Wahlergebnis durch Behauptungen über Unregelmäßigkeiten getrübt. Kritikern zufolge seien die massiven Unregelmäßigkeiten zu Gunsten der Armee ausgefallen.
Das Aufkommen der Coronavirus-Pandemie hatte die Demonstrationen erst einmal gestoppt, was aber nur vorübergehend war. Während des von der Regierung verhängten Lockdown stieg die Frustration über die Regierung und Behörden. Zwar war es Thailand gelungen, einen größeren Ausbruch des Coronavirus zu verhindern, die wirtschaftlichen Auswirkungen der von der Regierung verhängten Maßnahmen waren jedoch verheerend und haben die auseinander klaffende Schere in der Verteilung des Wohlstandes im Land sehr deutlich gemacht.
Gleichzeitig gingen Bilder vom ausschweifenden Leben des Königs im Ausland um die Welt. Im Internet richtete sich die Wut der Demonstranten daher auch zunehmend gegen die Monarchie, wobei der Hashtag „#whydoweneedaking?“ mehr als eine Million Mal verbreitet bzw. geteilt wurde.
Im Juni erhielten die Unzufriedenen weiteren Zulauf, als bekannt wurde, dass der pro-demokratische Aktivist Wanchalarm Satsaksi in Kambodscha entführt worden war. Laut Menschenrechtsgruppen war es der neunte im Exil lebende Aktivist, der in den letzten Jahren verschwunden ist. Die Regierung und das Militär haben eine Beteiligung bestritten.
Was wollen die Demonstranten erreichen?
Einer der Slogans der Demonstranten lautet: „Lasst es mit unserer Generation enden“. Der Slogan bezieht sich auf den Zyklus von Staatsstreichen, die in den letzten Jahrzehnten die politische Geschichte Thailands beherrscht haben. Die jungen Menschen sind dem einfach überdrüssig, sie wollen eine funktionierende Demokratie.
Die meisten Studenten sind sich einig über Forderungen nach der Auflösung des Parlaments, nach einem Ende der Schikanen und Einschüchterungen gegen Regierungskritiker und nach Änderungen der vom Militär unterstützten Verfassung.
Einige der Studentenführer haben auch Reformen für die mächtige und wohlhabende Monarchie des Landes gefordert, die ihrer Meinung nach dem Militär zu nahe steht und der sie eine Einmischung in die Politik vorwerfen.
An einem kürzlich von der „United Front of Thammasat“ organisierten Protest, bei dem zehn Forderungen nach einer Reform der Monarchie gestellt wurden, nahmen Zehntausende Thailänder teil. Die Anführer der Proteste forderten, das Budget des Königs zu kürzen und sein privates Vermögen vom Vermögen der Krone zu trennen. Auch wurde die Aufhebung des „Lèse Majesté“ Gesetzes gefordert, das Kritik an der Monarchie unter Strafe stellt.
Der derzeit amtierende König Maha Vajiralongkorn hat den Thron nach dem Tod seines Vaters, König Bhumibol Adulyadej, im Jahr 2016 übernommen. Seitdem hat er seine Autorität gestärkt, indem er das Vermögen der Krone und wichtige Armeeeinheiten unter seine direkte Kontrolle gebracht hat.
Die Demonstranten erklären, dass sie keineswegs die Monarchie abschaffen wollen, sondern dass sie eine Modernisierung fordern. Diese Forderungen haben wiederum die Royalisten verärgert, die ebenfalls zu Demonstrationen aufgerufen haben und erst gestern Morgen den Sprechern des Repräsentantenhauses und des Senats eine Liste mit 130.000 Unterschriften von Personen, die gegen jegliche Änderungen der gegenwärtigen Verfassung sind, übergeben haben.
Ist es illegal, den König zu kritisieren?
Die thailändische Königsfamilie ist durch ein strenges Lèse-Majesté-Gesetz vor Kritik geschützt, das bei Verstößen Gefängnisstrafen von bis zu 15 Jahren vorsieht. Obwohl dem Premierminister zufolge der König darum gebeten habe, dass niemand nach dem Gesetz strafrechtlich verfolgt wird, wurden Dutzende der Anführer nach ihrer Teilnahme an Protesten in den letzten Monaten wegen Verstössen gegen das Lèse-Majesté-Gesetz sowie verschiedener anderer Vergehen angeklagt, beklagte die Thai Lawyers for Human Rights Organisation.
Wie haben die Behörden auf die Forderungen reagiert?
Der Premierminister hat angekündigt, einige der Forderungen der Demonstranten bezüglich der Verfassung in Betracht zu ziehen. Er hat aber auch eindeutig Stellung bezogen und erklärt, dass die Monarchie nicht kritisiert werden dürfe.
Der Königspalast hingegen hat sich zu den Protesten und den Reformforderungen bisher überhaupt nicht geäußert.
Menschenrechtsgruppen hingegen erklären, dass die Behörden versuchen, die Proteste einzudämmen, indem sie die Anführer verhaften und Universitäten und Eltern unter Druck setzen, um Studenten davon abzuhalten, eine Reform der Monarchie zu fordern. Die Behörden haben auch Facebook angewiesen, Inhalte zu blockieren, die kritisch gegenüber der Königsfamilie sind, darunter eine Facebook-Gruppe, die mehr als eine Million Mitglieder hatte. Der Initiator der Gruppe, Pavin Chachavalpongpun, ein prominenter Kritiker der Monarchie, hat bereits eine neue Seite eingerichtet, deren Mitgliederzahl die der letzten Gruppe übertrifft.
Das Ministerium für Digitales hat heute die Polizeiabteilung zur Bekämpfung von Technologiekriminalität aufgefordert, die großen Social-Media-Anbieter Facebook, Twitter und Google strafrechtlich zu verfolgen, weil sie es versäumt hätten, alle illegalen Beiträge zu entfernen. Vorrangig geht es dabei um veröffentlichte Beiträge, die angeblich die königliche Institution beleidigt hätten.
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