Die Regierung kontrolliert die Hebel der Macht. Doch was bringt die Zukunft?
Die regierungsfeindlichen Demonstranten stellen sich gegen ein tief verwurzeltes Establishment in Thailand, gegen die Armee, die Regierung, die so genannte Elite von Bangkok sowie gegen eingefahrene stockkonservative Traditionen, mit denen die thailändische Monarchie geschützt wird. Im Gegensatz zu früheren Bewegungen sind die Demonstranten jung, gebildet und motiviert.
Auch wenn die tägliche Berichterstattung in den Medien über die aktuellen Proteste in Thailand den Eindruck erwecken könnte, dass sich Thailand in einem chaotischen Zustand befindet, geht das völlig an der Realität vorbei.
Natürlich gibt es seit Wochen Proteste in bestimmten Teilen von Bangkok, die den lokalen Verkehr beeinträchtigen, und insbesondere in den Medien viel Aufmerksamkeit erlangen. Fakt ist, dass die überwiegende Mehrheit der Thailänder sich zwar über die Entwicklungen auf dem Laufenden hält, aber sich dadurch nicht veranlasst sieht, den gewohnten Tagesablauf zu ändern. Sie machen einfach weiter wie bisher, und vieles von dem, was man das thailändische Leben nennen würde, plätschert wie üblich weiter vor sich hin.
Auf der anderen Seite müssen die Menschen in Thailand mit einem drastischen Einbruch der Wirtschaft zurecht kommen, der zum größten Teil durch die Maßnahmen der Politik und dem damit verbundenen Ausbleiben von ausländischen Touristen verursacht wurde. Das hat dazu geführt, dass viele Menschen ihr Leben neu ordnen und neue Arbeitsplätze in anderem Bereichen suchen mussten, was zum Teil auch gelang.
Es ist aber keineswegs so, dass es in ganz Thailand lange Schlangen von Arbeitslosen, Bettlern oder Hungernden gibt. Fast überall in Thailand, mit Ausnahme der touristischen Hotspots wie Phuket, Pattaya und Koh Samui, geht das Leben wie gewohnt einfach weiter. Von den touristischen Brennpunkten einmal abgesehen, passt sich an allen anderen Orten die lokale Wirtschaft an und kommt damit auch ganz gut zurecht, zumindest bis jetzt.
Die meisten Menschen, die ihre vom Tourismus abhängigen Arbeitsplätze verloren haben, sind zu ihren Familien in die Heimatprovinzen zurückgekehrt. Dort sind sie in Familienunternehmen oder im gemeinschaftlichen Leben aufgegangen. Es ist die in der thailändischen Kultur verankerte Widerstandsfähigkeit, die dem Land jetzt dabei hilft, sich während der weltweiten Pandemie anzupassen und zu überleben, in einigen Bereichen sogar davon zu profitieren.
Es gibt eigentlich keine Verbindung zwischen den beiden Themen, der Covid-19-Pandemie und der aktuellen Protestbewegung. Der Drang nach einer Änderung des politischen Status quo ist kontinuierlich gewachsen, seit die derzeitige Regierung im Jahr 2014 die Macht ergriffen hat, zunächst als ein von der Armee angeführter Putsch gegen die gewählte Regierung von Yingluck Shinawatra und dann nach den Wahlen vom März 2019, als die Putschistenführer daran gingen, eine funktionierende und zumindest auf dem Papier legitime Regierung zu etablieren.
Ob Covid-19-Pandemie oder nicht, diese Protestbewegung wäre ohnehin entstanden. Angetrieben wird sie von der derzeitigen politischer Entwicklung und von Idealismus, jedoch nicht von der Pandemie oder der schwächelnden Wirtschaft des Landes. Bei den Demonstranten handelt es sich zumeist um gebildete Studenten aus Familien der Mittelklasse. Sie haben nicht ein einziges Mal den Mangel an Touristen oder gar die wirtschaftliche Situation Thailands im weiteren Sinne erwähnt. Es sind keine unzufriedenen Oppositionspolitiker und sie identifizieren sich nicht einmal mit den alten Protesten der Rot- oder Gelbhemden. Es sind meist frische, bisher wenig bekannte, jüngere Gesichter, die der Bewegung vorstehen.
Die Forderungen der Demonstranten sehen keine Kompromisse vor. Grundlage ist ein 10-Punkte-Manifest, das erstmals am 10. August dieses Jahres auf dem Rangsit-Campus der Thammasat Universität verlesen wurde.
Die Forderungen lauten, dass der thailändische Premierminister zurücktreten muss, dass sich das Parlament auflöst und Neuwahlen angesetzt werden, dass eine neue Verfassung verabschiedet wird, die die Charta von 2017 ersetzt, und dass die Behörden aufhören, Protestierende und generell Menschen, die sich gegen die Regierung auflehnen, zu verfolgen.
Den meisten Forderungen der regierungsfeindlichen Demonstranten dürften auch die Abgeordneten der Opposition zustimmen. Neu ist jedoch diesmal, dass der Forderungskatalog auch die umstrittenen Forderung nach einer Veränderung der Rolle der Monarchie enthält. Die Anführer der Proteste betonen ausdrücklich, dass es nicht ihr Anliegen sei, die thailändische Monarchie abzuschaffen. Stattdessen wollen sie eine neue Verfassung, mit der die Rolle des thailändischen Monarchen neu definiert wird und die Befugnisse, die ihrer Ansicht nach derzeit keiner Beschränkung unterliegen, eingeschränkt werden.
Die Problematik für eine Veränderung besteht jedoch darin, dass das gegenwärtige System so ziemlich alles ablehnt, was die Protestierenden fordern, insbesondere die Änderungen der Rolle der thailändischen Monarchie.
Damit überhaupt eine dieser Veränderungen durchgesetzt werden kann, muss es einen nationalen Konsens, eine neue Verfassung und eine Art Stellungnahme, besser noch eine Beteiligung des Palastes geben.
Die Studenten fordern jetzt Veränderungen, aber die Realität sieht so aus, dass es für einen friedlichen Übergang sicherlich konstruktive Diskussionen, den Willen nach Veränderung und einen zeitlichen Ablauf geben muss. Jedoch nichts davon erscheint angesichts der Geschichte der thailändischen Staatsstreiche und der Rolle der Armee derzeit wahrscheinlich.
Während die Regierung versucht, die Situation durch die Einberufung von Notsitzungen des Parlaments zu entschärfen und sogar den kürzlich verhängten Ausnahmezustand in Bangkok wieder aufgehoben hat, oder anbietet, einige der verhafteten Demonstranten frei zu lassen, besteht nach wie vor eine enorme Kluft zwischen den Forderungen der Demonstranten und der Bereitschaft der Regierung, darauf einzugehen.
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