Für die Thailänderin Anne und viele ihrer Kolleginnen ist die Walking Street in Pattaya mehr als nur ein berühmt berüchtigtes Rotlichtviertel. Es war in den letzten 12 Jahren ihr Arbeitsplatz.
Hier, wo sich einst unzählige Nachtclubs, Bars und Massagesalons aneinander reihten, empfingen sie und viele andere Sexarbeiterinnen Touristen aus aller Welt. Viele Thais hatten sich hier ihr Leben eingerichtet, andere kamen hierher auf der Suche nach einer besseren Zukunft.
Heute wirkt die Walking Street von Pattaya City wie ausgestorben. Die Vergnügungslokale, in denen viele Prostituierte arbeiteten, sind längst geschlossen. Die hellen Neonlichter in der Nacht sind schon lange erloschen, auch die vormals pulsierende Musik ist nicht mehr zu hören. Die Scharen von Touristen, die allabendlich durch die Walking Street zogen, sind bereits seit dem letzten Jahr verschwunden, nachdem die thailändische Regierung strenge COVID-19-Restriktionen verhängt und die Grenzen des Landes für Ausländer geschlossen hatte.
Es sei alles so deprimierend, sagt Anne, die in der Walking Street nur unter ihrem Spitznamen bekannt ist. Schon seit geraumer Zeit würde Pattaya um 18 Uhr wie eine von Menschen verlassene Stadt aussehen. In der Walking Street gäbe es kaum noch ein Lebenszeichen. Noch bis Anfang 2020 habe dieser Ort ihr Einkommen gesichert und vielen anderen Menschen eine Zukunft gegeben. Was sie jetzt erleben müsse, würde ihr die Tränen in die Augen treiben.
Anne gehört zu den Hunderttausenden von Sexarbeitern in Thailand, die durch die von der Regierung verhängten Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 ihre Haupteinnahmequelle verloren haben.
Nach Angaben von SWING, einer lokalen Organisation, die sich um die Menschen in der Sexindustrie kümmert, ihre Rechte und ihr Wohlergehen fördert, hat die Covid-Krise die Sexarbeiterinnen schwer getroffen.
Viele von ihnen arbeiteten nachts in den unzähligen Vergnügungslokalen von Pattaya. Seit letztem Jahr hat die Regierung jedoch mehrmals die Schließung dieser Lokale angeordnet, in der Annahme, dass von hier aus möglicherweise Infektionen verbreitet werden könnten.
Hunderttausende Frauen, die als Sexarbeiterinnen arbeiten, um sich und ihre Familien zu ernähren, seien quasi über Nacht arbeitslos geworden. Seit mehr als einem Jahr hätten sie weder staatliche Unterstützung noch irgendwelche sonstigen Hilfsgelder erhalten, so die Direktorin von SWING.
Es sei schwer vorstellbar, wie die Sexarbeiterinnen ohne Einkommen überleben können, wenn man bedenke, dass die meisten von ihnen von der Hand in den Mund leben und auf ihren Tagesverdienst angewiesen sind, um sich das Nötigste zu kaufen.
Sexarbeit ist in Thailand noch immer illegal. Dennoch ist das Land seit langem für seine florierenden Rotlichtviertel in den beliebten Touristenorten wie Bangkok, Pattaya und Phuket bekannt. Weniger bekannt ist, dass es daneben in fast allen größeren Städten in Thailand eine mindest genau so große Anzahl von Bordellen, Massage-Parlors, Nachtclubs und riesigen Karaokelokalen gibt, die fast ausschließlich von männlichen Thais besucht werden.
Nach Angaben der Direktorin von SWING gibt es in Thailand etwa 200 000 Sexarbeiterinnen. Viele von ihnen haben für die Legalisierung ihrer Arbeit gekämpft, was ihnen den grundlegenden Arbeitsschutz und die Sozialleistungen, wie in anderen Berufen üblich, garantieren würde.
Die meisten Sexarbeiterinnen seien aufgrund des illegalen Status ihrer Tätigkeit nicht im Sozialversicherungssystem registriert. Das bedeute, dass sie keinen Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherung haben, einschließlich der Hilfsgelder für versicherte Arbeitnehmer, die aufgrund der COVID-19-Maßnahmen der Regierung arbeitslos geworden sind.
Das thailändische Gesetz zum Verbot der Prostitution aus dem Jahr 1996 bestraft jeden, der zur Prostitution auffordert oder sich selbst anbietet, mit einer Geldstrafe von bis zu 1.000 Baht, was derzeit etwa 25 Euro entspricht. Sexarbeiterinnen können auch mit einer Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren und einer Geldstrafe von 10.000 bis 40.000 Baht bestraft werden, wenn sie sich in irgendeiner Weise in der Öffentlichkeit als Prostituierte anbieten.
Die meisten Nachtclubs und Bars sind seit mehreren Monaten aufgrund von Beschränkungen zur Eindämmung der Pandemie geschlossen. In vielen Provinzen mit hohen Infektionsraten wie Bangkok und Chonburi wurde sogar eine Ausgangssperre von 21.00 bis 4.00 Uhr morgens verhängt, wodurch es für die Sexarbeiterinnen noch schwieriger wurde, Kunden zu finden.
Eine Reihe von ihnen ist derzeit ohne Einkommen und kämpfen ums nackte Überleben, während sie gleichzeitig für Essen und Miete aufkommen und ihre Familie unterstützen müssen.
Nach Angaben von SWING müssen einige von ihnen tagelang ohne Essen auskommen. Viele haben ihre Ersparnisse im vergangenen Jahr zwangsläufig aufgebraucht und waren gezwungen, sich Geld von Kredithaien zu leihen, um sich über Wasser zu halten.
Einige Sexarbeiterinnen, die ihren Job verloren und nicht genug Geld für die Miete hatten, seien aus ihren Zimmern ausgesperrt worden und müssten am Strand schlafen, sagte Anne und fügte hinzu, dass sie damit auch Gefahr laufen würden, wegen Verstoßes gegen die Ausgangssperre verhaftet zu werden. Es bliebe ihnen kaum etwas anderes übrig, als in Pubs und Bars, die geschlossen wurden, sich nachts hinter den Tresen zu legen, um dort zu schlafen, wo sie von Mücken gestochen oder nass werden, wenn es regnet.
Anne arbeitet derzeit in Teilzeit für SWING und versucht, anderen hilfsbedürftigen Sexarbeitern mit Rat und Tat zu unterstützen.
Inzwischen hat das Ministerium für soziale Entwicklung und menschliche Sicherheit einkommensschwachen Familien und hilflosen Personen finanzielle Hilfe angeboten. Das Ministerium erklärte auf Anfrage, dass jede Familie eine Unterstützung von höchstens 3.000 Baht erhalten könne, je nach Einschätzung der Sozialarbeiter oder der Beamten, die deren Haus besuchen und die Bedürftigkeit überprüfen. Die Unterstützung gibt es höchstens dreimal pro Haushaltsjahr.
Nach Angaben von SWING, das in seinem Netzwerk in Bangkok und Pattaya rund 8.000 Sexarbeiterinnen betreut, haben nur wenige von ihnen bisher Hilfe vom Ministerium bekommen. Diejenigen, die eine Unterstützung erhielten, hätten meist nur zwischen 1.000 und 2.000 Baht bekommen.
Seit dem vergangenen Jahr hat SWING bedürftige Sexarbeiterinnen mit Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten versorgt. Außerdem hat SWING diejenigen, die sich mit dem Coronavirus infiziert hatten, geholfen, sich medizinisch behandeln zu lassen.
Das Hauptquartier von SWING befindet sich im Phat Phong Bereich an der Silom Road, einem der bekanntesten Rotlichtviertel von Bangkok. Das Hauptquartier hat sich in eine Not-Küche verwandelt, in der die Mitarbeiter dreimal pro Woche Essen zubereiten und Lebensmittel ausgeben.
Das Viertel, das früher nachts von einem Meer von bunten Neonlichtern erleuchtet wurde und bei Animateuren und Touristen überaus beliebt war, ist jetzt dunkel und menschenleer.
Es seien aber nicht nur die Neonlichter, die erloschen sind. Es seien auch viele Leben ausgelöscht worden, denn diese Lichter hätten ihren Lebensunterhalt gesichert, sagte die SWING Direktorin. Man müsse die Tatsache akzeptieren, dass es nie wieder so sein werde wie früher.
Währenddessen versucht in Nordthailand die Anlaufstelle der Empower Foundation sowohl thailändischen als auch Sexarbeitern aus Myanmar und Laos, die von den Auswirkungen der COVID-19 Maßnahmen betroffen sind, zu helfen.
Die Organisation setzt sich seit mehr als 30 Jahren für die Rechte, die Bildung und das Wohlergehen von Sexarbeiterinnen ein. Das Netzwerk, das sich über verschiedene Teile Thailands erstreckt, besteht aus mehr als 50.000 Mitgliedern.
Früher sei es mit Sexarbeit möglich gewesen, den Lebensunterhalt zu sichern, so eine der Frauen aus dem Netzwerk, die in einer Bar in Chiang Mai arbeitete, bevor diese geschlossen wurde. Im Moment jedoch kämpfe jeder darum, einen Job zu finden, was auch immer es sei. Einige hätten Arbeit als Verkäuferin oder Kellnerin oder als Angestellte an einer Tankstelle gefunden. Andere würden bei Lebensmittellieferanten oder auf Baustellen arbeiten. Aber es gebe auch viele, die keine Arbeit gefunden hätten.
Am 29. Juni führte die Empower Foundation eine Gruppe von Frauen aus der Rotlichtszene zum Regierungsgebäude in Bangkok, um auf die Nöte der Sexarbeiterinnen aufmerksam zu machen. Sie forderten eine monatliche Entschädigung in Höhe von 5.000 Baht für jede der Frauen, die von den Auswirkungen der COVID-19 Maßnahmen betroffen ist, solange bis die Regierung erlaubt, die betreffenden Unterhaltungsbetriebe wieder zu öffnen. Die Frauen brachten Beschwerdebriefe und die Stöckelschuhe von Kolleginnen mit, die aufgrund den von der Regierung verhängten Beschränkungen nicht mehr in Nachtlokalen arbeiten können.
Auf die Frage, ob die Regierung reagiert habe, antwortete die Sprecherin der Empower Foundation, dass die Antwort Schweigen gewesen sei. Sie führte weiter aus, dass im Moment viele Menschen in der Lage seien, noch eine Weile ums Überleben zu kämpfen. Wenn sich die Krise jedoch bis zum nächsten Jahr hinzieht, werde sich die Situation zuspitzen und wahrscheinlich Tragödien in ungeahntem Ausmaß erleben. Die meisten Sexarbeiterinnen wüssten nicht, ob sie das überleben werden.
Derweil hat eine Gruppe von 172 Betreibern von Massagesalons und Spas am 17. August beim Zivilgericht eine Sammelklage gegen das Finanzministerium und die Regierung eingereicht. Sie fordern Entschädigung für die Verluste, die durch die seit letztem Jahr vom Centre for COVID-19 Situation Administration (CCSA) verhängten Schließungen entstanden sind.
Quelle: Channel News Asia CNA
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